Wälder sind Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten und mit ihren ökologischen Leistungen unverzichtbar für das Überleben der Menschheit. Das gilt nicht nur für die großen Urwälder im Amazonasgebiet, sondern auch für den Wald vor unserer Haustüre.
Wälder sind unverzichtbare Verbündete in der planetaren Umweltkrise. Damit sie das bleiben und weiter ihre Leistungen für uns erbringen, benötigen sie jedoch ihre natürliche Biodiversität und Strukturvielfalt, die Integrität des Waldinnenklimas, intakte Böden, Nährstoff- und Wasserhaushalte, Schutz vor Schadstoffen, invasiven Arten und Zerschneidung sowie konsequenten Klimaschutz.
Damit Wälder eine Zukunft haben, müssen wir ihren Schutz und ihre Nutzung global denken und lokal verantwortungsbewusst umsetzen.
Dr. Lutz Fähser ist wohl in ganz Deutschland und über seine Grenzen bekannt. Er steht für ein naturnahes Konzept der Waldbewirtschaftung, welches er gemeinsam mit seinem Team über 30 Jahre im Stadtwald Lübeck entwickelt hat.
Dr. Lutz Fähser, Jahrgang 1944, Leitender Forstdirektor i. R., studierte Forstwissenschaften in Freiburg und München und promovierte in Freiburg. 1986 ging er als Leiter des Bereichs Stadtwald nach Lübeck. Er war in zahlreichen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit und als Lehrbeauftragter an der Universität Kiel tätig.
Als Leitender Forstdirektor des Lübecker Stadtwaldes wurde er über die Grenzen Lübecks hinaus bekannt durch das 1994 eingeführte Konzept der „Naturnahen Waldnutzung“, bzw. "integriertem Prozessschutz". Dieses strebt in Wirtschaftswäldern u.a. eine hohe Naturnähe an, verfolgt die betrieblichen Ziele mit einem Minimum an Eingriffen. Durch sein Konzept der Waldwirtschaft konnte die Naturnähe der Waldbestände erheblich verbessert werden. Es gelang, die Holzvorräte zu vergrößern, u. a. zur Bindung von CO2. Mit geringeren Kosten wurden höhere Erträge erzielt. Die Biodiversität in den Wäldern konnte nachweislich erhöht werden; bei verschiedenen gefährdeten waldtypischen Pflanzen- und Tierarten ist eine Zunahme zu verzeichnen. mehr
Die Grundlagen zur Naturnahen Waldbewirtschaftung nach Dr. Lutz Fähser
Seit rund einem Viertel-Jahrhundert werden Lübecks Wälder nach dem Konzept der „naturnahen Waldnutzung“ bewirtschaftet. In diesen 25 Jahren hat das auch Lübecker Konzept genannte Waldmanagement nicht nur viel Anerkennung im In- und Ausland gefunden, es hat sich auch der Wald nachhaltig verändert. Er ist naturnäher geworden und wirtschaftlich leistungsfähiger. Welche Ideen hinter dem Waldkonzept stehen, welche Maßnahmen erforderlich sind, welche Vorteile sich für Tier- und Pflanzenreich ergeben, wenn der Wald – in Teilen – sich selbst überlassen wird und was der Mensch davon hat, wurde ausführlich dokumentiert.
Welche Bedeutung hat das Lübecker Waldkonzept in Deutschland?
Viele Städte sind dem Beispiel des Lübecker Stadtwaldes bereits gefolgt, darunter Düsseldorf, Bonn, München, Göttingen, Wiesbaden u.a. Als letzte Stadt hat sich Aachen (s.u.) für das Waldkonzept von Dr. Fähser entschieden.
Aachen 23. 8. 2023 hat der Rat der Stadt Aachen, einem Antrag von 6 Ratsparteien folgend, waldbauliche Anpassungen zur Stärkung der Klimaresilienz und der Biodiversität beschlossen. Die Stadt Aachen, deren Forsten bereits seit 2003 die FSC Zertifizierung besitzen, orientiert sich dabei an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen (z. B. zu eintretenden Klimaszenarien, zur Resilienz heimischer Waldökosysteme oder zu Schaderregern an heimischen Baumarten) und passt diese Vorgabe bei Bedarf an. Sie orientiert sich dabei am sog. "Lübecker Modell", entwickelt von Dr. Fähser. Zur Erreichung der Ziele wurden die nachfolgenden waldbaulichen Grundsätze festgelegt.
1. Mehr Naturwaldentwicklungsflächen: Der Anteil nicht bewirtschafteter Waldflächen wird auf mindestens 10 % der Waldfläche erhöht. Diese Wälder sollen sich langfristig zu Naturwäldern entwickeln. Der Nutzungsverzicht auf diesen Flächen wird rechtlich gesichert.
2. Mehr Totholz: Das städtische Biotop- und Totholzkonzept ist integraler Bestandteil der städtischen Biodiversitätsstrategie. Totholz gilt als „Urwaldelement“ in unseren Wirtschaftswäldern und bietet Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Die Erhöhung des Totholzanteils bleibt daher ein wichtiges Ziel unserer Waldwirtschaft. Dabei wird die im FSC-Standard verwendete Formulierung von „durchschnittlich zehn Biotopbäume je Hektar“ erweitert durch die Formulierung „durchschnittlich zehn Prozent der oberirdischen Baummasse je Hektar, bezogen auf die Strukturelemente Biotopbäume und Totholz“.
3. Erhöhung des Laubwaldanteils / beschleunigte Umwandlung des Nadelwaldes: Die vordringlichste und herausforderndste Aufgabe für die Stadt Aachen stellt die Umwandlung von Fichtenwäldern in klimastabile Laub- und Laubmischwälder dar.
Geeignete waldbauliche Mittel zur Erhöhung des Laubwaldanteils sind u.a.:
* der Voranbau von schattenertragenden, vorwiegend heimischen Baumarten (z. B. Rotbuche)
* die Förderung von Laubbäumen in Nadelholz-Laubholz-Mischbeständen durch Pflegeeingriffe in allen Altersstadien (z. B. Jungbestandspflege, Durchforstung)
* die Wiederaufforstung von Freiflächen mit Laubbäumen, sofern in der Folgegeneration eine Dominanz von Nadelbäumen zu erwarten ist (s. hierzu auch Punkt 7). Um diese Waldumwandlung in einem kürzeren Zeitraum abzuschließen, soll die Nutzung von Fichtenwäldern unter Einhaltung der guten fachlichen Praxis intensiviert werden.
4. Weitere Steigerung des Laubholzvorrates: Die Holzvorräte unserer Laubwälder sollen entgegen einer zuwachsoptimierten Vorratshaltung weiter steigen. Die Nutzung von Laubholz soll daher im zehnjährigen Mittel 40 % des Zuwachses nicht überschreiten. Diese Festsetzung soll spätestens nach 20 Jahren überprüft und auf Basis der gesammelten Erfahrungen angepasst werden.
5. Buchenwaldbewirtschaftung nach dem „Lübecker Modell“: Buchenwaldkomplexe mit einem Buchenanteil von über 80 Prozent werden trotz der zu erwartenden Risiken für die Rotbuche zukünftig in Anlehnung an das Lübecker Modell bewirtschaftet. Kennzeichnend für diese Art der extensiven Waldbewirtschaftung ist unter anderem der Nutzungsverzicht in der so genannten Qualifizierungsphase (bis ca. 20 cm Brusthöhendurchmesser) und der Phase der Vorratsanreicherung (ab ca. 40 cm Brusthöhendurchmesser). In Mischbeständen sollen – in Anlehnung an das Konzept des adaptiven Waldmanagements – trockenheitsertragende, heimische Mischbaumarten (z. B. Stiel- und Traubeneiche) gefördert und damit erhalten werden.
6. Einzelstammentnahme im Laubwald: Zur Entwicklung dauerwaldartiger Strukturen werden in Laubwäldern hiebsreife Bäume einzelstammweise in Form einer Zieldurchmesserernte genutzt (synonym: Zielstärkennutzung). Bei der Holzernte ist besonderer Wert auf den Erhalt von Biotopbäumen und stehendes Totholz zu legen.
7. Naturverjüngung „first“: Die Naturverjüngung hat grundsätzlich Vorrang vor der Pflanzung. Stellt sich innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist kein Wald ein, sind Freiflächen vorwiegend mit heimischen und nach heutigem Kenntnisstand klimaresilienten Baumarten aufzuforsten. Dabei ist der natürlichen Sukzession Raum zu geben. Außerdem soll, wo möglich und sinnvoll, auf die Saat und die Nutzung heimischer Wildlinge zurückgegriffen werden. Diese Verjüngungsverfahren ermöglichen eine noch bessere Anpassung der Baumarten an ihren jeweiligen Standort und tragen zum Erhalt der genetischen Vielfalt bei. Die Kulturen sind im erforderlichen Umfang (Minimumprinzip) durch Kultursicherungsmaßnahmen zu erhalten.Die Einbringung von nicht heimischen Baumarten aus dem europäischen Raum ist mit einem Anteil von bis zu fünf Prozent auf bisher nicht mit standortgerechten Baumarten bestockten Flächen möglich und unterstützt den Aufbau klimaresilienter Wälder.
8. Verbesserter Bodenschutz: Dem Schutz des Bodens räumt die Stadt Aachen einen hohen Stellenwert ein. Diesem Ziel wird einerseits durch eine weitere Extensivierung der Befahrung entsprochen, andererseits durch die verstärkte Ausnutzung technischer Möglichkeiten (bspw. Moorbänder auf Forwardern, Seiltechniken). Des Weiteren besteht die Absicht, den Einsatz von Rückpferden auszudehnen.
9. Bejagung erforderlich: Zum Erhalt und zur Weiterentwicklung eines klimastabilen Waldbestandes ist eine den Biotopkapazitäten angepasste Wilddichte unabdingbar. Diese ist durch geeignete
Jagdmethoden sicherzustellen.
(Quelle: Ratsinfo Stadt Aachen)
Mit großem Applaus von mehr als 200 Zuhörerinnen und Zuhörern endete der Vortrag "Unser Wald hat Zukunft" von Dr. Lutz Fähser am 20. Oktober 2023 im Wegberger Forum.
Anschaulich, detailliert und eindringlich verdeutlichte Herr Dr. Fähser (ltd. Forstdirektor a.D.) wie wichtig eine Waldbewirtschaftung ist, die sich an den ökologischen Bedürfnissen des Ökosystems Wald orientiert. Nur so sieht er die überlebenswichtigen Leistungen des Waldes für uns Menschen auch in Zukunft gesichert. Aber auch die Holznutzung kommt mit dem von ihm entwickelten Lübecker Waldkonzept nicht zu kurz. Denn nur ein stabiler, gesunder Wald kann auch ökonomisch positive Ergebnisse erbringen. mehr